Annemarie Renger

"Vielleicht kann die Tatsache, dass einer Frau zum ersten Mal in der deutschen Geschichte das Amt des Parlaments-Präsidenten übertragen worden ist, dazu beitragen, Vorurteile abzubauen, die einer unbefangenen Beurteilung der Rolle der Frau in unserer Gesellschaft noch immer entgegenstehen", sagte Annemarie Renger nach ihrer Wahl am 13. Dezember 1972. Am Ende ihrer Amtszeit, vier Jahre später, zog sie zufrieden Bilanz: "Es ist bewiesen, dass eine Frau das kann."
 

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Briefkopf Renger

Frau
Edith Wienen
Stellv. Klassensprecherin der Kl. 9a
Ludgerusschule Heiden
Gemeinschaftshauptschule
Velener Straße 29
 
46359 Heiden
 

Liebe Edith Wienen,

mein Beitrag für das Jahr 1949 ist ein wenig lang geworden, aber ich hielt es für unerläßlich, die Vorgeschichte zur Entstehung der Bundesrepublik Deutschland -West -zu verdeutlichen. Das Grundgesetz ist für mich das wichtigste Ereignis des Jahres 1949, und ich bin sicher, daß dieses auch für die Zukunft das tragende Element unserer Politik im nationalen und internationalen Bereich sein wird.

Ich freue mich, daß Ihre Klasse an dem Wettbewerb mit dem Titel "50 Jahre Bundesrepublik Deutschland" - es müßte hinzugefügt werden 40 plus 10 teilnimmt. Ich wünsche viel Erfolg.

Mit freundlichen Grüßen

Unterschrift A. Renger

 

Das Jahr 1949 war das Schicksalsjahr für Deutschland: Die Kriegsallianz der Alliierten war endgültig nach der Londoner Konferenz 1947 zerbrochen. Die Sowjetunion separierte konsequent die sowjetische Besatzungszone von den westlichen Besatzungszonen. Sie zog aus dem Kontrollrat aus, begann die Berlin-Blockade und zwang ganz Osteuropa das sowjetische Gesellschaftssystem auf. Der Kalte Krieg zwischen Ost und West war nicht mehr aufzuhalten.

Die westlichen Alliierten waren zum Handeln gezwungen, wollten sie nicht zulassen, daß ganz Deutschland zu einem politischen Sumpf wird, der eine leichte Beute für die Expansionsbestrebungen der Sowjetunion werden könnte.

1947 leitete der damalige Außenminister der USA die "Politik der Eindämmung des Ostblocks" durch die Stabilisierung und Stärkung der wirtschaftlichen und politischen Widerstandskraft der europäischen Staaten, den sog. Marshallplan, ein. Die osteuropäischen Länder, denen diese Aufbauhilfe ebenfalls angeboten wurde, mußten auf Druck der Sowjetunion davon Abstand nehmen.

1948 folgte dann in den westlichen Ländern die Währungsreform, die eine Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufbau war .Dennoch war der Ärger in der Bevölkerung groß, nachdem die Bevölkerung je Person DM 40,- erhielt, die Sachwertbesitzer ein schnelles Vermögen machen konnten.

Am 1. Juli 1948 ermächtigten die westlichen Militärgouverneure die Ministerpräsidenten der schon bestehenden Länder: "Eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, .... die für die beteiligten Länder eine Regierungsreform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wieder herzustellen, .... eine angemessene Zentralinstanz schafft und die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält."

Um deutlich zu machen, daß sich der Westen nicht von der gesamtdeutschen Zielsetzung absetzen wolle, ersetzten die Ministerpräsidenten die Verfassungsgebende Versammlung durch den Parlamentarischen Rat und gaben dem "Verfassungswerk" den Namen "Grundgesetz", das in seiner Präambel festschreibt: "Seine nationale und staatliche Einheit zu wahren... Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden."

Es war die SPD unter ihrem Vorsitzenden Kurt Schumacher, der den Alliierten widersprach, als sie nach der Schlußberatung im Parlamentarischen Rat - insbesondere der französischen Seite - einen stärkeren Föderalismus durchsetzen wollten. Schumacher setzte durch, daß der vorgesehene Bundesstaat nicht zu einem losen Staatenbund umgewandelt werden würde. Dazu gehörte als Voraussetzung die Finanzhoheit des Bundes - die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in den Bundesländern und die Festschreibung auf einen sozialen Rechtsstaat. Mit der 2/3-Abstimmung wurde dieses Grundgesetz im Parlamentarischen Rat am 23. Mai 1949 verabschiedet. Dieses Grundgesetz stand zwar unter der Oberhoheit der westlichen Alliierten, aber die hervorragenden Männer und Frauen im Parlamentarischen Rat haben in der politischen Diktion eine "Verfassung" geschaffen, die weitestgehend den deutschen Auffassungen entsprach. Auch sie hat zur deutschen Einheit geführt. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich notwendige Ergänzungen bzw. Änderungen ergeben, die sich nahtlos in das Gesamtwerk haben einfügen lassen. Das sollte auch in Zukunft nicht anders sein, denn unsere Verfassung ist kein totes Werk, sondern lebendige Wirklichkeit. Das Grundgesetz festigt die parlamentarische Demokratie und die Politik ist ständig aufgerufen, den Artikel 1, Satz 1 zu erfüllen:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Und in Absatz 3 heißt es weiter:

Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Dieses Grundgesetz ist die absolute Absage an den totalen Staat der nationalsozialistischen Diktatur und für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt.

Unter dieser Maxime stehen die Frauen und Männer, die von der Bevölkerung in den Deutschen Bundestag gewählt worden sind. Aber die Bürgerinnen und Bürger haben die Pflicht, nach eben diesen Grundsätzen ihre politischen Entscheidungen zu treffen. Wer sich bei Wahlen dieser Entscheidung entzieht, handelt gegen den Geist dieses Grundgesetzes.

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