Siegmund Kempmann

Wir waren wieder dabei!

Die Bundesrepublik war gerade erst ein gutes halbes Jahr alt, als ich im Frühjahr 1950 meinen Gesellenbrief erhielt und einen Tag später arbeitslos wurde.
Die Währungsreform 1948 hatte das Geld wieder wertvoll, aber auch knapp gemacht. Mein Chef, der Elektromeister, konnte sich keine zwei Gesellen leisten. Es gab zwar reichlich Arbeit, doch die Leute hatten noch nicht genug Geld, um sie zu bezahlen.
Wenig später ließ ich mich von Werbern für den Bergbau anwerben: Grubenelektriker auf "Gewerkschaft Neumühl Duisburg-Hamborn", Schichtlohn (8 Std.) 14 DM, "Schlafgeld" 9,30 DM und "Lagerverpflegung" im Ledigenheim 48,60 DM im Monat, Gesangverein 1 DM, Notopfer Berlin 2,25 DM, u.s.w..
Die Arbeit galt zwar als gefährlich, aber es gab mehr Geld als anderswo und Zulagen: Schnaps, Butter ...
Die große Politik interessierte uns nicht besonders. Wir kannten zwar die Parteien des Bundestages, und dass Max Reimann von der KPD wieder etwas gesagt hatte, was bei den anderen Parteien Empörung auslöste, ansonsten war uns die Sache ziemlich egal. Wenige Jahre nach der NS-Diktatur betrachteten wir Politik mit deutlichem Misstrauen. Wir waren reingelegt worden mit den Parolen von Volk und Vaterland.

Es war ein Jahr später im Sommer 51, als ich mir im Urlaub ein Fahrrad lieh - das ewig Reifenpanne hatte - um von Duisburg zum "1. Deutsch-französischen Jugendtreffen" auf die Loreley bei St. Goar zu fahren. Das Hochplateau war übersät mit kleinen 2-Personen-Armeezelten.

Ein Torbogen, "Vive lŽEurope" stand drauf, bildete den Eingang zu dieser Zeltstadt junger Menschen: Franzosen und Deutsche, aber auch Amerikaner, Engländer...Ich wohnte mit dem Franzosen Gerald zusammen in einem der Zelte, in denen gerade zwei Pritschen Platz hatten. Aus dieser Begegnung wurde eine langjährige Freundschaft.
Die Gespräche, Veranstaltungen... alles war so neu und aufregend, dass ich länger blieb und meinen Urlaub um zwei Tage überzog, deshalb aus dem Knappenchor flog und Lohnabzug wegen unentschuldigten Fehlens bekam.
Vorne, am Loreleyfelsen, wehten in einem Halbrund die Flaggen der beteiligten Nationen, darunter die schwarz-rot-goldene der Deutschen. Wir waren nicht mehr die Feinde, sondern wieder dabei! Ein schönes Gefühl!

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