Der Vorsitzende der Gewerkschaft, Bruno Köbele,
überreicht die Hans-Böckler-Medaille und -Urkunde
an Heinz Homuth.

Auszug aus der Rede von Heinz Homuth
bei der Gedenkfeier der IG Bau-Steine-Erden
zum 17.Juni 1953

...
Die Straße, in der alles begann, hieß vor 40 Jahren Stalinallee. In der Umgebung dieser Straße bin ich aufgewachsen. Die Frankfurter Allee, so hieß sie damals und auch heute wieder, war der Kurfürstendamm des Ostens. Während des Krieges habe ich miterlebt, wie diese schöne Straße zerstört wurde.
1947, sechs Tage vor Weihnachten, kam ich aus der Gefangenschaft zurück nach Berlin. Zurück in einen riesigen Trümmerhaufen.
Fünf Jahre später, 1952, begann der Wiederaufbau unserer einstigen Prachtstraße. Statt Straßenbahnen fuhren Trümmerloks, und statt Lkws brachten Pferdegespanne das Baumaterial heran.
Ich war damals Brigadier einer Zimmererkolonne auf der Baustelle E-Süd.
Leute vom Bau sollten als erste die neuen Wohnungen beziehen. Und so war es auch. Im Januar 1953 stand der Möbelwagen und ein sogenannter "Defa-Augenzeuge" vor der Tür. Den Möbelwagen zierte ein Transparent mit der Aufschrift: "Wir ziehen in die Stalinallee". Für den Umzug habe ich nie eine Rechnung bezahlt. Das übernahm meine Firma. So etwas gab es damals auch schon.
Ein Putzer und ich waren die ersten Mieter in unserem Aufgang. Tage später zogen dann die Privilegierten ein. Viele kamen aus Sachsen. Diesmal ohne den Augenzeugen von der Defa. Fünf Monate später - die Regierung hatte eine zehnprozentige Normenerhöhung befohlen - fing es an zu knistern. Am 15. Juni 1953 sprach mich mein Freund, der Putzer, an: "Macht Eure Baustelle mit? Auf Block 40 veranstalten wir eine Protestkundgebung gegen die Normenerhöhung. Kommt um 7 Uhr zu uns rüber." Ich gab ihm die Hand und sagte ja.
Am 16. Juni sagte ich meinen Kollegen, um was es ging, und wir zogen gemeinsam zum Block 40. Es waren nur 250 Meter.
Unsere Kundgebung hatte noch nicht begonnen, als zwei Bauarbeiter unserer Firma von der Baustelle "Krankenhaus Friedrichshain" bei uns ankamen und sagten, daß ihre Baustelle von Vopos umstellt sei. Sie wollten mit uns protestieren, aber man ließ keinen raus. Irgendeiner rief: ,Wir holen unsere Jungs raus." Und so, ..., begann der legendäre Marsch der Bauarbeiter von der Stalinallee. Wir waren ungefähr 80 Mann, als der Marsch begann. Vor dem Krankenhaus waren es schon einige tausend.
Die Berliner hatten sehr schnell begriffen, daß unser Protest auch ihr Anliegen war. Darum schlossen sie sich an. Es war aus unserer Sicht kein Streik. Wir hatte nicht mehr Lohn gefordert, wir wollten den Lohn, den wir hatten, behalten.
Unser Zug wurde nicht aufgehalten. Kein Vopo stellte sich uns in den Weg. Aus dem Protest wurde plötzlich ein politischer Aufstand.
Die Sprechchöre: "Berliner, reiht Euch ein, wir wollen freie Menschen sein. Wir fordern freie Wahlen, und wir wollen Butter statt Kanonen", werde ich mein Leben lang nicht vergessen.
Vor dem Haus der Ministerien war die Menge nicht mehr zu zählen. Am Nachmittag ließ die Regierung durch Minister Selbmann erklären, die Normenerhöhung ist zurückgenommen.
In nur acht Stunden hatten wir unseren ersten Sieg errungen.
Inzwischen wurde zum Generalstreik für den 17. Juni aufgerufen. Wieder begann der Marsch morgens um 7 Uhr in der Stalinallee.
Ohne Widerstand gelangten wir zum Lustgarten. Dort fand eine Standdemonstration statt. Die Menge stimmte die Nationalhymne an. Da rollten die ersten russischen Panzer heran.
Wir gelangten noch bis zum Potsdamer Platz, auch dort war schon der Russe.
Schüsse fielen. Es gab die ersten Toten und Verwundeten. Da wußten wir, unser Traum von Freiheit und Einheit war beendet.
In den Tagen nach dem 17. Juni 1953 wurde den Arbeitern allerhand versprochen.
Meine Zimmerleute, die allesamt aus dem Umland kamen, sollten nun dieselben Rationen erhalten wie die Berliner. Wir hatten ja damals noch Lebensmittelkarten.
Im Auftrag meiner Kollegen fuhr ich zum Roten Rathaus. In Zimmererkluft - die Zeitung "Die Tribüne" in der Tasche. Man schickte mich von Zimmer zu Zimmer. Im 6. Zimmer war einer, der etwas zu sagen hatte.
Ich brachte mein Anliegen vor und erklärte dem Herrn, meine Kollegen möchten eine positive Antwort auf den Artikel in der "Tribüne".
"Gleiche Lebensmittel für alle Bauarbeiter in Berlin. Sollte die Antwort negativ ausfallen, streiken wir ab morgen früh. Wir sind von der Baustelle Stalinallee E-Süd."
Mein Einsatz hatte Erfolg. Die Forderungen meiner Kollegen wurden prompt erfüllt. Ich persönlich erhielt eine Warnung, nahm meine Aktentasche und begann mein Leben in Freiheit in Westberlin.
..., wir haben damals vor 40 Jahren den Grundstein für die Freiheit gelegt, in der wir heute alle gemeinsam leben können.

 

Anfang der Seite