Zonengrenze 1954

Gegen 22 Uhr erreichten mein Bruder und ich auf der 125er DKW die Baracke der Ostzonen-Grenzer. Wir waren auf dem Wege nach Ostberlin, um Freunde zu besuchen, zwei junge Leute, 20 und 25 Jahre alt. Das war im Spätsommer 1954.
Wir waren die einzigen in dem Raum mit der langen Theke, erhellt von trübem Licht, um unsere Ausweise vorzuzeigen. Die drei oder vier Frauen und Männer unterhielten sich weiter, als wenn wir gar nicht da wären.


S. Kempmann und seine DKW

Schließlich ließ sich einer der Grenzer unsere Papiere zeigen. Er fragte nach Westgeld, wir sagten ihm die Summe. Er behauptete aber, wir müssten noch mehr haben. Er führte uns zum "Nachdenken" in jeweils eine Kabine mit Tischchen, Stuhl und Schuhdurchleuchtungsapparat, eine Art Röntgengerät. Das stand manchmal noch in Schuhgeschäften, um den Kunden zu zeigen wie gut der Fuß in den Schuh passt.

Nach etwa einer Stunde weckte mich der hereingekommene Grenzer mit der Frage nach dem versteckten Geld, das wohl zur Bezahlung von Agenten gedacht sei.
Als er nach kurzer Zeit wieder zurückkam meinte er, mein Bruder habe gestanden. Er würde von der Staatsmacht verurteilt werden. Ich blieb bei meiner Aussage, nicht mehr Geld bei mir zu haben. Aha, das Geld sei im Motorrad versteckt. Der Grenzer kam aber bald zurück und ließ mich dann gehen. Draußen hatte es genieselt. An den unverwischten Wassertropfen konnte ich sehen, dass er nur geblufft hatte.

Mein Bruder kam nicht. Die Grenzer lachten, als ich nach ihm fragte. Der sei wohl eingeschlafen. Es war nun gegen zwei Uhr nachts. Ich wollte am liebsten wieder umkehren. Schnauze voll! Mein Bruder hatte die besseren Argumente, also fuhren wir weiter. Die nächsten Kontrollposten waren überaus höflich. Wir machten dann noch einen Abstecher nach Potsdam, wunderten uns, nicht über die Glienicker Brücke direkt nach Berlin fahren zu können. Als wir schließlich wieder - den Umweg über die Autobahn fahrend - zur Berliner Grenze kamen, wurden wir von einem Ostgrenzer begrüßt: "Auf euch haben wir schon lange gewartet!" - "Geht das Theater schon wieder los", dachte ich. Aber es war schließlich nur Angstmache.

Siegmund Kempmann
 

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