Vor 40 Jahren sank im Atlantik die deutsche Viermastbark Pamir
Karl-Otto Dummer aus Jülich-Selgersdorf überlebte die Katastrophe

54 Stunden ein Spielball der Urgewalten

Von Nachrichten-Redakteur Joachim Zinsen

Jülich. Der Hurrican "Carrie" war ihr Schicksal. Vor 40 Jahren sank im Atlantik die deutsche Viermastbark Pamir. 80 Seeleute fanden bei der Katastrophe den Tod. Nur sechs Mann überstanden das Drama. Unter ihnen Karl-Otto Dummer, der heute in Jülich lebt.

Der 21 September 1957: Seit über drei Monaten ist die Pamir auf großer Fahrt. An Bord des Segelfrachtschiffes sind 86 Mann - 50 junge Seekadetten und die Stamm-Crew. Zu ihr gehört auch der 24jährige Proviantmeister Karl-Otto Dummer.
Im Morgengrauen erhält die Pamir 600 Seemeilen südwestlich der Azoren über Funk die Nachricht: Schweres Wetter im Anzug. Kurze Zeit später ist klar: Das Schiff steuert auf den Hurrikan "Carrie" zu.
Alles geht nun rasend schnell. Sturm kommt auf, steigert sich rasch zum Orkan. Erste Böen wüten mit unvorstellbarer Kraft in den Masten, zerreißen die Takelage.
Die See kocht, die Luft besteht bald nur noch aus Gischt und Wasser. Verzweifelt stemmt sich die Mannschaft der Pamir gegen das Inferno. Doch das Schiff neigt sich immer mehr nach Lee, die Schräglage wird immer bedrohlicher.
Gegen Mittag ist der Kampf verloren. Das Schiff kentert, bevor die Rettungsboote zu Wasser gelassen werden können. "Natürlich war es uns allen mulmig, aber Panik ist an Bord bis zuletzt nicht ausgebrochen", erinnert sich Dummer heute an die dramatischen Augenblicke. "Niemand hat geglaubt, daß wir so schnell absaufen konnten".
 

Eiserner Überlebenswille

Für Dummer beginnt mit dem Kentern des Schiffs ein 54 Stunden währender Kampf ums Überleben. Zunächst: Weg vom Wrack, damit ihn der Sog der Pamir nicht mit in die Tiefe reißt. Orientierung scheint unmöglich. Menschen sind in dieser Hölle nur ein Spielball der Urgewalten.
Doch mit eisernem Willen gelingt es Dummer, sich an ein schwimmendes Wrackteil heranzuarbeiten. Einige seiner Kameraden - vielleicht zwanzig - schaffen es ebenfalls, klammern sich an die Trümmer.
Plötzlich taucht vor ihnen ein leeres Rettungsboot auf, das sich von der untergehenden Pamir losgerissen haben muß. Zum Greifen nah und doch unendlich weit entfernt. Wohl eine mühevolle halbe Stunde brauchen Dummer und neun Seekadetten, um das Boot zu erreichen. Doch es ist beschädigt, die Lufttanks sind zertrümmert, am Heck und Bug klaffen gewaltige Löcher. Dummer und seine Kameraden - alle zwischen 16 und 18 Jahre alt - steigen ein und sitzen bis zur Brust im Wasser. "Das Boot kentert mehrere Male", erzählt Dummer. "Trotzdem hatte ich das Gefühl, der Rettung ein Stück näher gekommen zu sein."
 

Ein Dampfer fährt vorbei

Und tatsächlich: Schon am ersten Abend steuert ein Dampfer auf das Rettungsboot zu. "Er kam so nah, daß wir den Namen des Schiffs lesen konnten", hat Dummer die Szene heute noch vor Augen. "Aber niemand entdeckte uns in der tobenden See. Wir ragten ja gerade einmal mit unseren Köpfen aus dem Wasser, und unsere Leuchtraketen waren alle naß."
Das Schiff jedenfalls fährt vorbei. Die Enttäuschung unter den Schiffbrüchigen ist groß. Doch es sollte noch schlimmer kommen.
 

"Das Schlimmste war die Kälte und der quälende Durst"

Bis zur Brust im wenig über 20 Grad kalten Wasser verbringen die Schiffbrüchigen die nächsten Stunden und Tage. Mehrmals sehen sie Suchschiffe, doch niemand sieht sie. Flugzeuge tauchen am Horizont auf und verschwinden wieder.
Im Boot wächst die Verzweiflung. Ein Haifisch umkreist die schwimmende Insel - Angst. Doch das ist nicht das Schlimmste. "Viel quälender waren die Kälte und der Durst", erinnert sich Dummer. "Bis auf wenige Dosen Büchsenmilch gab es nichts zu trinken. Unsere aufgequollenen Zungen klebten dick im Mund."
24 Stunden nach dem Untergang sind die ersten Kameraden aus dem Rettungsboot tot. Dummer aber gibt nicht auf. "Wir werden gerettet, wir werden bestimmt gerettet", redet er ständig auf sich und seine Leidensgefährten ein. Immer wieder gelingt es ihm, die Seekadetten aus einer tödlichen Lethargie zu reißen. Später sollte Dummer deshalb in Deutschland als Held gefeiert werden. Eine Ehre, die der heute 64jährige für "unangebracht" hält: "Ich war nur bestrebt, die Jungs bei Laune zu halten, damit sie sich nicht hängen ließen. Denn ich wußte, wir konnten nur gemeinsam überleben."
Trotzdem haben sich in diesen Stunden in dem Rettungsboot unvorstellbare Dramen abgespielt. Dummer muß mit ansehen, wie Kameraden durchdrehen und sterben. Am Nachmittag des 23. September sitzen nur noch fünf völlig unterkühlte Gestalten in dem Boot. Sie sind am Ende ihrer Kräfte. Da plötzlich taucht am Horizont ein Schiff auf. Es hat den Mast gesehen, den die Schiffbrüchigen am Morgen mit letzter Energie gesetzt haben. Kurze Zeit später werden Dummer und seine Gefährten vom US-Dampfer Saxon aus dem Wasser gefischt.
"Unsere aufgeweichte Haut konnten wir vom Fleisch ziehen. Wir müssen schrecklich ausgesehen haben", erinnert sich Dummer an die Stunde der Rettung, die er heute als seine "zweite Geburt" bezeichnet. "Die Mannschaft der Saxon war komplett an Deck. Alle hatten Fotoapparate. Doch niemand wagte, ein Bild von uns zu machen."
Dummer sagt heute: "Eine weitere Nacht im Rettungsboot hätten wir mit Sicherheit nicht überlebt." Wie realistisch er das sieht, hatte sich 24 Stunden nach seiner Rettung erwiesen. Ein weiteres Boot der Pamir wurde gesichtet - an Bord ein einziger Überlebender. Einen Tag zuvor, zur gleichen Zeit, als Dummer aus dem Wasser gezogen wurde, saßen in dem Boot noch 16 Mann.
 

Quelle: Aachener Zeitung, Dienstag, 23. September 1997

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