Dr. Rita Süssmuth - Im "Wasserwerk" - Beifallskundgebungen

 
Dr. Rita Süssmuth, CDU/CSU

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unserem heutigen Tag der Entscheidung sind schwierige Wochen der Vorbereitung dieser Entscheidung vorausgegangen. Es ist heute morgen von der Arbeit des Präsidiums, von der Arbeit derjenigen, die sich um einen Konsens bemüht haben, die Rede gewesen. Ich gehörte zu diesen und möchte auch hier klar sagen: Wenn wir einen tragfähigen Konsens gefunden hätten, der beiden Städten in einem föderativen Deutschland gerecht wird, dann hätte ich ihm gern zugestimmt. Wir haben ihn nicht gefunden. Jetzt oder später, heute ist die Stunde der Entscheidung. Entscheidungen, die mit Mehrheit gefällt werden, sind zu respektieren. Die heutige Debatte zeigt, daß wir die Argumente fair miteinander austragen.

Auf alle Fragen, Kollege Brandt, sind sicherlich keine Antworten zu geben. Wir haben uns in den vergangenen Wochen, zum Teil in Tag- und Nachtarbeit, gerade auch unter Beteiligung der Regierung, bemüht, die Informationen verfügbar zu machen, die verfügbar sind. Aussagen über die Verteilung von Bundesbehörden in die neuen Bundesländer brauchen mehr Zeit. Deshalb enthalten alle Anträge die Einsetzung einer Kommission, um dies sehr bald tun zu können. Kosten sind angegeben. Es sind Schätzkosten. Ob sie nüchtern oder überzogen sind, werden wir merken, wenn wir sie umsetzen. Ich glaube übrigens nicht, daß das Kostenargument für die Entscheidung das Zentrale ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Ich habe mich intensiv mit dem Vorschlag des Kollegen Geißler auseinandergesetzt und sage hier ganz offen: Ich bin eben nicht überzeugt, daß er unserer parlamentarischen Demokratie dient,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

und kann deswegen, so gern ich es tun würde, diesem Vorschlag nicht zustimmen. Es mag sein, daß es mir an Vorstellungskraft fehlt. Vielleicht bin ich in zehn Jahren klüger als heute. Ich kann nur vom heutigen Tag aus entscheiden.

Ich möchte Ihnen sagen, daß ich für mich und für viele Kollegen in Anspruch nehme, daß wir heute durchaus die Pflicht und das Recht haben, zu entscheiden. Der Einigungsvertrag hat dazu die Grundlage gegeben, und wir sollten das nicht in Frage stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Ich möchte hier auch offen erklären: Ich werde mich für Bonn entscheiden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Daß dies nicht nur Zustimmung findet, ist klar -- deswegen sage ich es ja --; aber ich möchte es auch noch einmal kurz begründen.

Für mich hat die politische Zukunft Deutschlands in Bonn nicht nur mit der ersten, sondern auch mit der zweiten wichtigen Etappe 1989/90 längst begonnen. Es ist nicht eine Zäsur, die wir in der Geschichte vornehmen. Ich muß Ihnen sagen: Wo wären denn die Menschen in den neuen Ländern, wenn nicht hier Parlament und Regierung zukunftsweisende Entscheidungen für ganz Deutschland getroffen hätten?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Ich bin sehr dafür, daß wir dort hingehen, wo die Probleme sind. Ich bin froh, daß viele unserer Ausschüsse das tun. Ich bin auch der Meinung, daß das Parlament viel und nicht nur selten in Berlin tagen muß. Das sind wir den Menschen und ihren Problemen schuldig. Aber wenn wir jedesmal da hingehen wollten, wo die Probleme sind, dann müßten wir über unsere Hauptstadtfrage ständig neu entscheiden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Ich denke vor allen Dingen, daß mehr als die symbolischen Zeichen -- wir entscheiden über einen Zeitraum von acht bis zehn Jahren -- wichtig ist, daß wir jetzt zusammenwachsen und daß wir den Menschen vor Ort zeigen, daß wir für und mit ihnen handeln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich möchte noch ein letztes Argument nennen. Es wird gesagt, Berlin ist der Ort der europäischen Integration. Ich möchte doch noch einmal unterstreichen, daß von Bonn nicht nur westeuropäische Politik gemacht worden ist, sondern seit den 50er Jahren der Blick kontinuierlich auch nach Osteuropa gerichtet worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Ich möchte das, was in der letzten Zeit geschehen ist, nicht in irgendeiner Weise schmälern: Der deutsch-sowjetische Vertrag, der deutsch-polnische Vertrag, die Unterstützung für Polen, die Tschechoslowakei und Ungarn, dies alles ist von Bonn aus geschehen. Ich denke, dies ist eine weltoffene, europäische und internationale Politik. Ich hoffe, daß sich die Frage nach Metropolen im Rahmen der politischen Union gänzlich neu stellt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)
 

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