OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

am 13. Oktober 1995

für R e c h t erkannt

Die Angeklagten sind des Mordes an fünf Menschen in Tateinheit mit versuchtem Mord an vierzehn Menschen und besondes schwerer Brandstiftung schuldig.

Der Angeklagte A wird zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt.

Die Angeklagten B, C und D werden jeweils zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt.

Der Angeklagte A trägt die Kosten des Verfahrens.

Bei den Angeklagten B, C und D wird von einer Auferlegung der Kosten und Auslagen abgesehen.

Die den Nebenkägern erwachsenen notwendigen Auslagen werden den Angeklagten A und D auferlegt.

* Es folgt die Liste der angewendeten Vorschriften (Paragraphen). Dann wird das Tatgeschehen rekonstruiert. Hier einige Ausschnitte daraus:

III. Das Tatgeschehen

1. Die Verabredung zur Tat

... An der Kreuzung Schlagbaum kamen die Angeklagten schnell ins Gespräch. C, D und A wiesen darauf hin, auf dem Weg zur BP-Tankstelle zu sein, um sich dort alkoholische Getränke zu beschaffen. Ohne Umschweife berichteten sie von den Ereignissen auf dem Polterabend, ...
B erfuhr, daß sie dort Ärger gehabt hätten und in eine Schlägerei mit Ausländern - A sprach von "zwei Türken" - verwickelt worden seien ...
Schon bald wurde der Vorschlag laut, "den Türken" einen "Denkzettel" zu verpassen und "ein Haus anzuzünden". Der Angeklagte B wies sofort auf das von der Familie F bewohnte Haus ... hin ...
Dieser Vorschlag fand sofort allgemeine Zustimmung. Dabei war man sich einig, ohne daß dies näher diskutiert wurde, Benzin zu beschaffen und damit den Brand in unmittelbarer Nähe des Hauses zu legen. ...

2. Die Brandlegung

... Zur Beschaffung des Benzins verschwand B nach vorne in den zur Schlagbaumer Straße hin offenen Tankstellenbereich. ...
Jedenfalls kam der Angeklagte B nach längstens fünf Minuten zurück und hielt bereits aus einiger Entfernung zum Zeichen dafür, daß er das Benzin hatte, einen grauen Behälter hoch. ...
Die vier Angeklagten machten sich sofort auf den etwa 900 m langen Weg ...
Bis zu ihrem Ziel sprachen sich die Angeklagten im Groben dahin ab, daß D und A "Schmiere" stehen und den Tatort absichern sollten, während die Angeklagten B ... und C dort Feuer legen sollten. ...
Sie wollten sich durch die als nicht fernliegend erkannten lebensgefährlichen Folgen ihres Vorhabens von ihrem Ziel, "den Türken" einen "Denkzettel" zu verpassen, nicht abhalten lassen. ...
... in den Windfang gefolgt. Dort schütteten die beiden Angeklagten nunmehr das ... Benzin großflächig gegen die Hauseingangstür, gegen die links und rechts an der Hauswand angebrachte Holzverschalung und auf den Fliesenboden vor der Hauseingangstür. ...
Jedenfalls wurde das ausgebrachte Benzin von B oder C - möglicherweise mit Zeitungen als Fidibus - aus einem sicheren Abstand heraus gezündet. Beide Angeklagten rannten alsdann schnell aus dem Windfang heraus, riefen den draußen wartenden Angeklagten D und A zu "lauft" und trennten sich.
Der Angeklagte B lief, ohne sich mit den anderen Angeklagten abzusprechen, sofort zu seinem schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite gelegenen Wohnhaus ...
Dort verhielt er sich ruhig, beobachtete das Tathaus noch eine Zeit lang und legte sich ... zu Bett. ...

3. Die Flucht der Angeklagten C, D und A - die Überlegungen zum Alibi - der Heimweg

... Sie erörterten kurz die Folgen der Tat und sprachen insbesondere darüber, ob tatsächlich Bewohner des Hauses umgekommen seien. ...

A wies gleichwohl darauf hin, es sei besser, ein Alibi vorweisen zu können. Er schlug deshalb vor, bei etwaigen Befragungen anzugeben, daß man erst um 2.45 Uhr bei E weggegangen sei. ...

IV. Das Brandgeschehen im Hause Untere-Werner-Straße 81

1. Die Bewohner des Hauses

In dem Haus Untere-Werner-Straße 81 lebten die seinerzeit 49 bzw. 50 Jahre alten türkischen Eheleute G und F mit ihren Kindern, Schwiegerkindern und Enkelkindern. Diese Großfamilie ... zählte insgesamt 19 Personen. ...

2. Die Entdeckung des Feuers - die ersten Reaktionen

F hatte das laute Geräusch, das sie später mit einem "Donnerschlag verglichen hat, im Halbschlaf ebenfalls gehört ... Sie weckte H und rannte in den Teil, in dem die 16-jährige I und die 9-jährige J einerseits sowie der 15-jährige K und die 18-jährige L andererseits in zwei Etagenbetten schliefen. ...
Alsdann lief sie, inzwischen in eine panikartige Verfassung geraten, sofort wieder zurück in die Diele. Sie öffnete die Haustür, sah sich einer aus dem Windfang hereinschlagenden Flammenwand gegenüber und stürzte, ohne die Tür wieder schließen zu können, in ihr Schlafzimmer. ...

* Einige Familienmitglieder können sich vor dem sich rasch ausbreitenden Feuer durch ein Fenster zur Straße oder über eine Außentreppe in Sicherheit bringen.

3. Der weitere Brandverlauf - die Opfer

Den im Haus verbliebenen Bewohnern war ... jede Fluchtmöglichkeit durch die Diele und das Treppenhaus versperrt. ...
K, L und J ... sahen sich vom sich rasch ausbreitenden Feuer eingeschlossen. ...
K entgegnete, er könne nicht länger warten; im Inneren des Hauses brenne alles, alles sei voll Rauch, auch er brenne. Dann sprang er und blieb regungslos liegen; ...< br /> Für sein Leben gezeichnet ist K durch die etwa 36% der Körperoberfläche betreffenden Verbrennungen zweiten und dritten Grades. ...
Die 18 Jahre alte L versuchte offensichtlich, die Diele trotz des sich dort ausbreitenden Feuers noch zu durchqueren. Dabei ist sie gestürzt oder zusammengebrochen und infolge der Brandeinwirkung verstorben. Ihre hochgradig verkohlte Leiche wurde während der Aufräumarbeiten im Brandschutt der Diele gefunden und geborgen.
J ... starb an einer hochgradigen Kohlenmonoxydvergiftung und an den Folgen der Brandeinwirkung. Ihre stark zerstörte Leiche wurde ebenfalls ... im Brandschutt ... gefunden und geborgen.
Die vierjährige M ... wurde etwa eine Stunde nach dem Eintreffen der Feuerwehr leblos gefunden. Der Versuch, sie an Ort und Stelle in einem Rettungswagen wiederzubeleben blieb erfolglos. M hatte großflächige Verbrennungen erlitten; ihr Tod wurde durch eine Kohlenmonoxydvergiftung verursacht. ...

* Im zweiten Obergeschoss befanden sich die Eheleute N mit ihrer dreijährigen Tochter sowie der zu Besuch weilenden 12jährigen O. Der Vater sprang aus dem Fenster und wollte seine Tochter auffangen. Die inzwischen eingetroffene Feuerwehr versuchte "Sprungpolster" in Position zu bringen ...

... als P das Kind fallen ließ, sei es bewußt oder sei es, weil ihr die Kräfte oder das Bewußtsein schwanden. ... Das Mädchen fiel in den U-förmigen Schacht, der in die dortige Betonfläche eingelassen war. Q erlitt ... Verbrennungen zweiten Grades im Gesicht, am Hals und an den Händen ... einen Oberschenkelbruch am rechten Bein ... Unmittelbar nach dem Kind sprang oder fiel P aus dem Fenster. Sie schlug auf die Kanten des Betonschachtes und blieb regungslos liegen. ... Außerdem erlitt sie Verbrennungen zweiten und dritten Grades ..., die etwa 30% bis 40% der Körperoberfläche zerstörten. Gleichwohl hätte sie eine geringe Überlebenschance gehabt, wenn nicht die letztlich tödlichen Sturzverletzungen hinzugekommen wären ... O stand bis zum Schluß hinter bzw. neben P an dem Giebelfenster. Kurz bevor diese aus dem Fenster sprang bzw. fiel, bewegte sich O nach hinten in den Raum hinein ... Ihre hochgradig feuerzerstörte Leiche wurde am anderen Vormittag ... gefunden ...

... G und F, ihren Kindern und Schwiegerkindern ist durch die Tat schweres seelisches Leid zugefügt worden. Es reicht weit über das bloße Bewußtsein hinaus, selbst Opfer des Brandanschlags geworden zu sein. Sie sehen sich einer ausweglos erscheinenden Verunsicherung und Trauer gegenüber, die ihr weiteres Leben überschatten wird. Alle Überlebenden haben durch den nächtlichen Brandanschlag ihnen nahestehende Angehörige verloren.

* Quelle: Oberlandesgericht Düsseldorf (Urteil zum "Solingen-Prozess" - Die Namen wurden aus Datenschutzgründen entfernt.)

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