Rolf Elsebusch
Von Mitte März bis Mitte Juli 1998 war ich in Rajlovac bei Sarajevo in Bosnien im Rahmen des 5. SFOR-Kontingents eingesetzt. Als Heeresflieger sind wir aus Rheine-Bentlage dorthin verlegt worden. Ich hatte mich freiwillig für diesen Einsatz gemeldet, wie auch schon 1996 u. 1997 für den damaligen Einsatz in Kroatien. Daher wußte ich bereits ungefähr, was mich dort erwarten würde. Ich fühlte mich gut ausgebildet, da ich als Zeitsoldat einiges an militärischer Erfahrung und außerdem an der UN-Ausbildung in Hammelburg teilgenommen hatte. Nicht zuletzt natürlich auch durch den vorherigen Einsatz in Kroatien. Es ist eine sehr wertvolle Erfahrung, die man gewinnt, wenn man an so einem Einsatz teilnimmt.
Zum einen ist man für vier Monate nie alleine. Wir lebten zu dritt in unserem ca. 12 m2 kleinen Container. Dort mußten wir dann miteinander auskommen, was zum Glück ganz gut funktionierte. Zum Waschen mußten wir 100 Meter laufen. Manchmal hatte es so stark geregnet, daß das Wasser in den Straßen unseres Camps einige Zentimeter hoch stand.
Dann war man auf dem Rückweg vom Duschen bereits wieder dreckig, bevor man wieder im eigenen Container war. Zum anderen war es im Sommer sehr heiß und feucht. 50 Grad in der Sonne und Luftfeuchtigkeit nahe 100% machten es mir sehr schwer. Man weiß, was man getan hat, wenn man dann in der Mittagssonne im lehmigen Boden rumhacken "durfte" und Sandsäcke füllte, um Stellungen zu bauen.
Abends tranken wir noch ein paar Bier in einer der Betreuungseinrichtungen oder machten Sport. Da unsere Klimaanlage defekt war, freuten wir uns auf die Dunkelheit wie ein Vampir. Gegen 0 Uhr hatten wir aber immer noch Temperaturen um die 28 Grad!
Dienst hatten wir rund um die Uhr, bis auf einen freien halben Tag in der Woche. Dann sind wir meist nach Sarajevo gefahren, wenn das erlaubt wurde. Wir mußten aber auch dort in Uniform und mit Waffe herumlaufen. Die Altstadt von Sarajevo ist zum Großteil vom Bombardement der Serben verschont geblieben, da die Geschütze in den Bergen rund um die Stadt nicht soweit herunter gerichtet werden konnten. Ansonsten wurde Sarajevo vier Jahre lang eingekesselt und es "hagelte" täglich 3500-4000 Granaten in die Stadt. Als wir an der ehemaligen olympischen Bobbahn waren, standen wir direkt dort, wo die serbischen Stellungen waren. Es ist ein sehr mulmiges Gefühl, was einen beschleicht, wenn man sich die Situation vorstellt, vier Jahre lang beschossen zu werden und man nicht weg kann. Aber auch in der Stadt selbst hatten sich Heckenschützen in den Gebäuden versteckt und erschossen jeden für ein paar Dollar oder DM. In einem Stadtteil beschossen sich die Menschen, die dort lebten, von Balkon zu Balkon auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dementsprechend sieht es dort auch so aus. Minen liegen überall noch herum. Wir durften niemals die Wege verlassen, die wir kannten oder die minenfrei waren. Ich bin allerdings auch nie auf eine solche Idee gekommen. Das war auch ein Schwerpunkt in der Ausbildung in Hammelburg. Daß scheinbar nicht alle Nationen so geschult waren wie wir, konnten wir auch dort erfahren. Als eine polnische Streife in einem Wald Schlaggeräusche hörte (das Holzhacken ist dort verboten), ging sie in den Wald um nachzusehen, was dort los war. Da trat einer der Soldaten auf eine Mine. Später war aufgrund des Unfalls auch noch Presse dort. Ein Journalist bat einen der polnischen Soldaten einen Schritt für ein Foto zur Seite zu treten, was dieser dann auch tat. Dort lag ebenfalls eine Mine, auf die der Soldat trat.
Da frage ich mich, wie so etwas passieren kann?! So gedankenlos kann man eigentlich nicht sein! Zum Glück überlebten beide den Unfall.Der Haß sitzt noch sehr tief bei den Menschen dort und ich bin fest davon überzeugt, daß es erneut zu Gefechten kommt, wenn die NATO-Truppen abziehen. Es leben immer noch Moslems, Kroaten u. Serben in der Stadt, obgleich die Serben ihren eigenen Teil haben.
Wir mußten immer neutral bleiben, keine Unterschiede zwischen den Menschen machen. Doch fiel es mir persönlich sehr schwer, wenn man die Greueltaten sieht. Aber es gab auch kroatische Kriegsverbrecher. Aber wenn ich die arme Bergbevölkerung sah und die glücklichen Gesichter, wenn wir Hilfsgüter verteilten, war es egal, welcher Religion diese Menschen angehörten. Schließlich war ja auch nicht jeder Deutsche im 3. Reich ein Nazi.
So kann man an der eigenen Geschichte für die Praxis lernen! Als ich wieder hier in Deutschland war, mußte ich mich erst mal wieder an die Häuser gewöhnen, die hier ja keine Einschußlöcher aufweisen. In Bosnien wäre ein solches Haus eine Seltenheit. Außerdem bekommt man ein anderes Werteverhältnis. Manchmal habe ich innerlich gelacht über die "Problemchen", die die Menschen hier haben. Wir sollten uns viel öfter darüber bewußt werden, was ein Leben ohne Krieg, was Wohlstand oder ein warmes, trockenes Heim wert sind.
Ich bin froh, daß ich an dem Auslandseinsatz in Bosnien teilgenommen habe. Es waren Erlebnisse, die ich nicht vergessen werde.
(C)Ludgerusschule Heiden