LANGENBERGSWEG 105
53179BONN, 16.10.1999
TEL. (0228) 344611
R. GERHARD STOLTENBERG
An die
Ludgerusschule Heiden
z.Hd. der Stellv. Klassensprecherin
Edith Wienen
Velener Str. 29
46359 Heiden
Sehr geehrte Edith Wienen,
für den Brief vom 10. Oktober und die freundliche Anfrage, etwas aus der Zeit der "Großen Koalition" zu berichten,danke ich vielmals.
Es waren damals drei recht interessante, durch viele Probleme bestimmte Jahre. So könnte man darüber ein Buch schreiben, was ich aber nicht beabsichtige.
Es gibt sehr viele Erinnerungen. Nachdem 1966 die Bundesrepublik nach vielen sehr erfolgreichen Jahren zum ersten Mal in eine Rezession, also eine wirtschaftlich kritische Zeit kam, erhob sich der Ruf nach der Zusammenarbeit der beiden großen Parteien sehr laut. Die Freien Demokraten hatten die Koalition der CDU/CSU verlassen. So kam es zu dem Bündnis mit der SPD.
Viele Jahre hatten wir uns, die Politiker der CDU/CSU und der SPD in kritischen Debatten miteinander auseinandergesetzt. Jetzt mußten wir uns daran gewöhnen, in einem Kabinett, in einer Regierung vernünftig zusammen zu arbeiten. Dabei stellten sich manche Gemeinsamkeiten heraus. So verständigten sich der Finanzminister der CSU, Franz Josef Strauß und der Wirtschaftsminister der SPD, Karl Schiller verhältnismäßig schnell auf mehrere Maßnahmen zur Überwindung der Wirtschaftskrise. Mein Nachbar bei den Kabinettssitzungen war Professor Carlo Schmid von der SPD. Er war mit fast 70 Jahren das älteste Mitglied der Regierung, ich mit 37 Jahren das jüngste. Aber wir hatten mehrere Berührungspunkte. Carlo Schmid war ein angesehener Universitätsprofessor in Frankfurt. Ich hatte als Bundesminister für Wissenschaftliche Forschung Entscheidungen für die Entwicklung der Universitäten mit zu treffen/und außerdem war ich beruflich Dozent für Neuere Geschichte an der Universität Kiel. Wir waren uns in den Fragen der künftigen Wissenschafts- und Hochschulpolitik in der Regel einig. Es gab auch sehr viele interessante persönliche Gespräche, und so entwickelten sich gute Beziehungen.
Aber natürlich gab es auch Auffassungsunterschiede zwischen beiden großen Parteien in anderen Fragen und trotz der Zusammenarbeit in der Regierung eine Konkurrenzsituation vor Wahlen. Trotz dieser Spannungen hat die Große Koalition eine Reihe sehr wichtiger und zukunftsweisender Entscheidungen treffen können, das galt vor allem auch für die Wissenschaftspolitik.
Ich füge als Anlage ein Buch bei, das ich in jener Zeit mit den Problemen der Schule, der Bildung und der Wissenschaft verfaßt habe. Darin spiegelt sich manches von der Arbeit der Großen Koalition wieder.
Mit guten Wünschen für das Projekt, die Geschichte der Bundesrepublik zu behandeln. und freundlichen Grüßen
(C)Ludgerusschule Heiden