Ein Industriekaufmann schildert die Ölkrise 1973 "betriebsnah"
Michael Giebing, Lehrer an der Ludgerusschule,
1973 als Industriekaufmann tätig
Eines Morgens kam ich von der Frühstückspause in unser gemeinsames Büro (Abteilung "Propangas-Verkauf"), die Telefone klingelten wie immer heiß, nur mein Kollege, der sonst beidhändig telefonische Bestellungen von "Westfalen-Gas"-Zwischenhändlern oder Kunden entgegennahm, stand auf der Fensterbank am offenen Fenster. Nach anfänglichen Befürchtungen sah ich, dass er mit einem Feldstecher generalstabsmäßig die vor uns liegenden Gleisanlagen des Güterbahnhofs in Münster absuchte. "Stell du dich hierauf, du bist größer als ich", forderte er mich auf, und meine Aufgabe bestand darin, unsere "Westfalen-Gas-Kesselwagen" zu suchen.
Schwierig wurde es bei der Identifizierung der Waggonnummern, diese gaben uns nämlich Aufschluss darüber, ob die Eisenbahnkesselwagen gefüllt waren oder leer auf den Schienen standen. Gefüllte Kesselwagen wurden uns von der Erdölraffinerie angekündigt und von verschiedenen Produktionsstätten auf die Reise nach Münster geschickt.
Nachdem ich zur Freude meines Kollegen einige volle Kesselwagen entdeckt hatte, konnten wir uns ausrechnen, wie lange es dauern würde, bis sie von der DB (Deutsche Bundesbahn) und WLE (Westfälische-Landes-Eisenbahn) auf unser Werksgleis rangiert werden konnten. Auch der Rangierdienst hatte alle Hände voll zu tun, so dauerte es noch ca. fünf bis sechs Stunden, bis die Waggons in unserem Abfüllwerk in Münster Gremmendorf eintrafen.
Der Transport größerer Mengen von Flüssiggas auf dem Landwege geschieht überwiegend in Eisenbahnkesselwagen. Ein Kesselwagen fasst zwischen 15 und 45t Flüssiggas. In der Abfüllstation wird das Propangas in großen Kugelbehältern gelagert, anschließend in Propangasflaschen gefüllt oder mit Straßentankwagen direkt zum Endverbraucher transportiert.
Aufgrund der eingeschränkten Liefermengen blieb unsere "Suche" an manchen Tagen erfolglos. Wie sollten wir unsere Flüssiggaskunden zufriedenstellen? - Die Ölkrise wirkte sich für unseren Betrieb nachhaltig aus. Wir erhielten nur eingeschränkte Liefermengen, das führte dazu, dass unsere Kunden nur noch mi ca. 60% - 70% der vereinbarten Menge Flüssiggas beliefert werden konnten.
Das ständige Vertrösten der Kundschaft durch stundenlange Telefonaktionen, das ständige Studieren der münsterischen Bahnanlagen und das anschließende Koordinieren der Tankfahrzeuge bescherten uns "einen abwechslungsreichen Arbeitstag".
(C)Ludgerusschule Heiden