"... ins programmierte Unternehmen Weltcup schlich sich eine Fehlschaltung ein, nach dem 0:1 gegen die anderen Deutschen aus der DDR schien mehr verlorengegangen als nur Prestige. Schön dachte an die Heimreise, Kapitän Beckenbauer schlug auf den Tisch und verhinderte den Zerfall der Mannschaft, einer Sportgemeinschaft mit dem Ziel der Profitmaximierung. Hart errungene Erfolge gegen Jugoslawien (2:0), Schweden (4:2) und Polen (1:0) ebneten den Weg ins Münchner Finale. Die Chancen gegen die Niederländer, die unter Kapitän ]ohan Cruyff den modernsten Fußball präsentierten, standen pari - bis das Spiel 60 Sekunden alt war. Elfmeter für Oranje, Neeskens hämmert in die Mitte des Tores, 0: I. Nach 25 Minuten liegt plötzlich der Frankfurter Linksaußen Hölzenbein im anderen Strafraum auf der Nase - wieder Elfer.
Breitner jagt die Kugel zum Ausgleich in die linke Ecke. Kurz vor der Pause zieht Team-Benjamin Rainer Bonhof auf der rechten Seite davon und spitzelt den Ball mit letzter Kraft Richtung Tor. Inmitten der tosenden Hektik stoppt Gerd Müller seelenruhig das Leder, schießt fast gemächlich mit rechts und wie ferngelenkt hoppelt der Ball am tatenlosen Torwart ]ongbloed vorbei über die Linie zum 2:I. Ein glücklicher Sieg, aber keineswegs unverdient.
Die deutsche Mannschaft vor dem Finale der WM 1974 gegen die Niederlande
am 7. Juli in München (von links): Beckenbauer, Maier, Schwarzenbeck, Bonhof,
Hölzenbein, Grabowski, Müller, Overath, Vogts, Breitner, Hoeneß
Mit dem Schlußpfiff bröckelte die Mannschaft auseinander: Müller, Overath, Breitner und Grabowski sagten laut Servus. Und von nun an ging's bergab. Mit den bekannten Tugenden Kraft, Willen und Kampf strampelte sich Schöns neue Formation 1976 nochmals ins EM-Finale, das gegen die CSSR im Elfmeterschießen durch einen grotesken Fehlversuch des blonden Hoeneß (»Ich war völlig apathisch in diesem Moment« ) verlorenging. Im April '77 beendete auch Beckenbauer seine Laufbahn als Nationalspieler und machte in New York Karriere als Weltmann. In München ließ er einen jungen Fußballer der Extraklasse zurück, Karl-Heinz Rummenigge. Doch ohne den »Kaiser« war Schluß mit der alten Herrlichkeit. »Kein WM-Format« mochte selbst Helmut Schön seinen Leuten 1978 zugestehen nach dem 2:3-Ende gegen Österreich, der »Schmach von Cordoba«. Nach der WM, die Gastgeber Argentinien als Sieger sah, zog sich Helmut Schön ins Rentnerdasein zurück. Ein großer Mann, ein großer Trainer, ein Gärtner, der die Blüte Nationalmannschaft sorgsam gehegt hatte. Schön hatte den Geist gespürt, der im Schlepptau der Studentenrevolte von '68 alle gesellschaftlichen Bereiche erfaßte, auch den Fußball. Begriffe wie Mitsprache und Mitverantwortung erforderten neue Führungsqualitäten. Schön besaß sie.
Quelle: "100 Jahre DFB - Die Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes"
Sportverlag Berlin, 1999, Seite 168
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