Klaus Schütz beschreibt seine Erinnerungen an die Lorenz-Entführung in seinem Buch "Logenplatz und Schleudersitz - Erinnerungen", erschienen 1992 in Berlin.
"Zwei Jahre vor dem Ende meiner Berliner Amtszeit geschah etwas, das vieles über den Haufen warf. Am 27. Februar 1975 wurde Peter Lorenz entführt. Er war der Vorsitzende und Spitzenkandidat der Berliner CDU. Und wir befanden uns zwei Tage vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus. Ich werde wohl nie vergessen, wo ich war und was ich tat, als ich von dem Vorfall benachrichtigt wurde. Mir war völlig klar, daß dieses Ereignis für die Menschen in der Stadt und auch für mich persönlich ein Wendepunkt sein würde. Nicht nur, weil ich mit Peter Lorenz befreundet war. Darüber hinaus war mir von Beginn an klar, daß ich nicht im Amt bleiben würde, sollte die Sache blutig enden. Aus eigenem Willen.
Natürlich war der Wahlkampf in Berlin damit zu Ende. Wir bildeten einen Krisenstab, ein weiterer wurde in Bonn beim Bundeskanzler eingerichtet. So ein Stab ist eine Lehrstunde besonderer Art. In Berlin erklärte ich gleich zu Beginn, daß ich alles tun werde, um Peter Lorenz lebend zurückzubekommen. Es war interessant zu hören, wie die anderen Teilnehmer argumentierten. Einige stimmten mir zu. Andere hielten ihren Mund und guckten bedeutend. Und dann erklärte einer: Er fühle sich zwar freundschaftlich mit Lorenz verbunden, aber hier ginge es um mehr als um eine Person, hier sei der Staat herausgefordert und dürfe nicht nachgeben. Dem habe ich knapp und klar widersprochen. Denn: Der Staat ist nicht eine Idee oder ein undefinierbares Wesen, dem Respekt zu zeigen und das vor Respektlosen zu schützen ist; für mich ist der Staat zuerst und vor allem dazu da, den einzelnen Bürger zu schützen und ihm zu helfen, wann immer er in Not gerät. Wir haben uns dann schnell darauf verständigt, alles uns Mögliche zu tun, um ihn zu retten.
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Peter Lorenz ist dann freigekommen - ein Erfolg für eine Ordnung, die zu Recht freiheitlich und demokratisch genannt wird, die die Würde des einzelnen über die des Staates stellt und sich für ihn verantwortlich fühlt und die sich dadurch von allen anderen Ordnungen unterscheidet.
Zwei Jahre später kam es zu einer weiteren Entführung. Hanns-Martin Schleyer wurde von Terroristen überfallen und später ermordet. Ich bin öfter gefragt worden, ob ich nicht im Fall Lorenz falsch gehandelt hätte, gemessen an den Entscheidungen des Bonner Krisenstabs im Fall Schleyer. Meine Antwort: Ich meine nicht, denn jeder Fall hat seine eigenen Gesetze. Ich bin davon überzeugt, daß es für derartige Fälle vorgeformte Verhaltensmuster nicht geben darf. Es muß in der speziellen Situation aus der vorhandenen Kenntnis heraus entschieden werden. Keine Entscheidung kann für sich den Anspruch erheben, allein richtig zu sein. Schon deshalb verdient jeder Beschluß in einer solch schwierigen Frage Respekt und Anerkennung.
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