Dr. Hans-Jochen Vogel

Stollbergstraße 20
80539 München
 
28. Dezember 1999

Dr. Hans-Jochen Vogel

Ludgerusschule Heiden
Frau Edith Wienen
Velener Straße 29
 
46359 Heiden
 

Liebe Edith Wienen,

ich bestätige den Eingang Ihres Schreibens vom 9. Dezember 1999. Zu dem von Ihnen darin angesprochenen Thema habe ich mich hinsichtlich der Grünen insgesamt in einem Buch über meine Bonner und Berliner Jahre, das unter dem Titel "Nachsichten" 1996 im PIPER-Verlag erschienen ist, aus der Sicht des Jahres 1986 wie folgt geäußert:

"Ich war den Grünen gegenüber schon aufgrund der Eindrücke, die ich in Berlin gewonnen hatte, keineswegs voreingenommen. Zu einzelnen, so zu Antie Vollmer, Petra Kelly, Gert Bastian und Joschka Fischer, später auch zu Otto Schily, gab es regelmäßige Gesprächskontakte. Unsere Fraktion hatte auch gelernt, mit der Existenz einer weiteren Oppositionsfraktion einigermaßen zurecht zu kommen und sich von der Auseinandersetzung mit der Regierungskoalition nicht durch ständige Reibungen mit dieser neuartigen Konkurrenz ablenken zu lassen. Ich blieb auch dabei, daß Die Grünen ihre Entstehung nicht zuletzt unseren Defiziten verdanken und daß sie ernst zu nehmende Fragen aufwarfen. Ihre Antworten waren aber in vielen Punkten inakzeptabel - so wenn sie beispielsweise den Austritt aus der NATO, die Abschaffung der Bundeswehr, die sofortige Stillegung aller Kernkraftwerke oder die ersatzlose Streichung des § 218 verlangten. Auch in der Frage des staatlichen Gewaltmonopols konnten sie sich nicht zu einer klaren Haltung durchringen. Zudem verbrauchten sie damals einen wesentlichen Teil ihrer Kraft mit unaufhörlichen inneren Streitigkeiten, deren Beweggründe von außen nur schwer zu erkennen waren."

Joschka Fischer bin ich zum ersten Mal 1983 nach seiner Wahl in den Bundestag begegnet. Er war schon damals ein eloquenter und scharfsinniger Redner, der inhaltlich die soeben von mir beschriebene Politik vertrat Sein äußerer Habitus war ausgesprochen unkonventionell und ein Zwischenruf, mit dem er den amtierenden Bundestagspräsidenten mit einem vulgären Schimpfwort titulierte, war es auch. Daß er eines Tages ein erfolgreicher Außenminister der Bundesrepublik werden würde, war zu jener Zeit wahrlich nicht vorauszusehen. Daß er es dennoch wurde, spricht für ihn und für die integrierende Kraft unserer demokratischen Strukturen.

Mit freundlichen Grüßen

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