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Mein Name ist Cornelia Schwarz.
Ich wurde im November 1971 in Zwickau, der "Stadt des Trabanten", geboren. Zur Zeit des Mauerfalls lebte ich allerdings schon seit einem Jahr in Leipzig. Da ich mich aus religiösen Gründen nicht zu der vom Staat auferlegten Jugendweihe entschlossen hatte und statt dessen die Konfirmation erhielt, wurde ich nicht zum Abitur zugelassen - eine durchaus übliche Strafmaßnahme in der DDR, einem Land, wo Überzeugung und Zukunftschancen extrem voneinander abhängig waren ....
Wer als junger Mann nicht freiwillig 3 Jahre zur Armee ging, konnte nicht mit einem Studienplatz rechnen, wer nicht als Berufswunsch Offizier, Lehrer oder etwas ähnliches angab, bekam nur schwer einen Platz an der "Erweiterten Oberschule" (entspricht dem heutigen Gymnasium), wer als Erwachsener nicht in der Partei war, hatte es oft schwerer, in dem von ihm gewünschten Beruf eine Arbeitsstelle zu bekommen ....
Da mir also der angestrebte Bildungsweg verwehrt blieb, begann ich im Diakonissenhaus Leipzig eine Krankenpflegeausbildung - natürlich trotz allem mit viel Enthusiasmus, da es mir große Freude bereitet, anderen Menschen zu helfen. Damals wohnte ich, wie fast alle Auszubildenden, im Internat des Krankenhauses. Aufgrund der kirchlichen Schirmherrschaft der Einrichtung war dies natürlich ein Ort, an dem man bei weitem freier und unbefangener über seine Gedanken sprechen konnte, als an den meisten anderen Orten.
Nächtelang diskutierten wir und versuchten, uns gedanklich frei zu machen. Durch diesen Erfahrungs- und Gedankenaustausch sah die Welt für mich plötzlich ganz anders aus. Mir wurde Stück für Stück bewusst, dass man nicht alles hinnehmen muss. Irgendwie fühlte ich mich wie Alice im Wunderland.
Nikolai-Kirche in Leipzig (außen / innen)
Dann begannen die Friedensgebete in der Nikolaikirche. Im Sommer 1989 schließlich fanden sich Montag für Montag so viele Menschen dazu ein, dass die Staatssicherheit (STASI) langsam nervös wurde. Allein der Versuch, die Betenden zu fotografieren, wurde, sofern die Spitzel ihn beobachtet hatten, nicht selten mit bis zu 3 Tagen Haft geahndet. Auf den Stationen unseres Krankenhauses mussten nicht zuletzt deswegen ständig die Dienstpläne geändert werden.
Der Montag, als es hieß, es gäbe Schießbefehl gegen die Teilnehmer der Demonstration, ist mir noch lebhaft in Erinnerung. Wir alle hatten natürlich große Angst, aber nicht hinzugehen wäre undenkbar gewesen. Als dann keine Schüsse fielen, waren wir sicher, etwas erreicht zu haben.
Einige Tage vor meinem 18ten Geburtstag erhielten meine Mutter und ihr Lebensgefährte die Ausreisegenehmigung, die sie 3 Jahre zuvor beantragt hatten.
Ich selbst hatte meine Absicht bekundet, in der DDR zu bleiben - normalerweise wäre mir als zum Zeitpunkt der Antragstellung noch Minderjährige die Ausreise ebenfalls gewährt worden. An meinem Ehrentag, dem 5. November 1989, hatte ich leider Dienst und meine Mutter musste ihren "Laufzettel", mit dem man sich als Ausreisender vor dem Verlassen des Landes bei sämtlichen Ämtern abmeldete, abarbeiteten. Daher feierten wir erst 4 Tage später in Zwickau, also am 9.November.
Dieser Tag verlief für uns alle recht unspektakulär. Wir schauten abwechselnd Ost- und Westnachrichten. Als die ersten Menschen über die Grenze gingen, aßen wir gerade Abendbrot. Schließlich weitete sich der anfänglich zähe Strom zu einer regelrechten Lawine aus. Immer mehr und mehr Menschen verließen kurz entschlossen die sozialistische Heimat in Richtung Westen, sei es, um für immer dort zu bleiben oder lediglich einen Kurzbesuch bei Verwandten oder Bekannten anzutreten. Dennoch erlebten wir diesen Tag nicht als den geschichtsträchtigen "Tag des Mauerfalls", der er heute für die meisten von uns ist. Gut möglich, dass dies alles der Anfang von etwas Großem war, vielleicht handelte es sich aber auch nur ein einmaliges Ereignis, etwa so wie 1968 der Prager Frühling. So, das wars auch schon ....
Herzliche Grüße
Cornelia Schwarz
(C)Ludgerusschule Heiden