von A. Wischerhoff
Quelle:
Dat Darp an de "Düwelsteene"
Druckvertrieb Johannes Bläser,
Borken i. Westf., um 1930
Man schrieb 20 nach Christus. Zehn Jahre schon war die Grabkammer der Teufelsteine fertig gestellt. Noch immer war kein Leichnam bestattet. Damals schon, vor zehn Jahren, als der greise Nottelmannsfürst, zurückkehrend vom Teutoburger Walde, wo er mit seinen Scharen dem Armin zur Hilfe geeilt und die Römer hatte vertreiben helfen, die Grabkammer bauen ließ, als Denkmal den kommenden Generationen die Taten der Väter ins Gedächtnis rufend, zugleich aber auch sich und seiner Familie als Ruhestätte dienend, da hatte er sein Ende erwartet. Zwar war er körperlich und geistig noch frisch und regsam gewesen, und mancher Römer hatte vor seiner Lanze und Streitaxt gezittert und ins Gras beißen müssen, aber seiner Lenze hatte man schon siebzig gezählt, und da durfte er schon gefasst sein, dass seine Tage gezählt seien und er bald oben in Walhalla sich der Reihe der seligen Kämpfer beizählen durfte. Doch der Göttervater hatte immer noch gnädig an ihm vorüber blickend, seine tapferen Kampfgenossen gleichen Alters mit ihm hinauf geholt in die Gefilde des Seligen. Ihm war seit jenem großen Ereignis in den Sümpfen des Teutoburger Waldes noch eine Reihe von Jahren beschieden gewesen, und er hatte sie weidlich ausgenutzt, kommende Geschlechter heranzubilden und sie reif zu machen für bevorstehende Waffen- und Heldentaten. Wie gespannt hatten des Abends am glimmenden Holzfeuer seine Enkel und Großenkel gelauscht und ein aufmerksames Ohr geliehen seinen Schilderungen und Erzählungen und atemlos aufhorchend hatten sie alles an ihrem geistigen Auge vorüber ziehen sehen, was der Alte an Taten und Kämpfen geleistet, und staunend hatten sie die vergilbten und verdorrten Lorbeeren geschaut, die er in langem Leben und Kämpfen in heißen Schlachten als Siegespreis errungen. Unterdes hatte die von ihm erbaute Steingrabkammer ungeduldig auf ihr erstes Opfer gewartet. Die tapferen Kampfgenossen des alten Nottelmannsfürsten, die mit ihm gefochten und inzwischen zum Lande der Seligen gegangen waren, hatte man, gewohnter Sitte gehorchend, nach vorhergegangener Feuerbestattung in Urnen beigesetzt und unter den rundlichen Grabhügeln, die die Ruhestätte überwölbten, der Erde übergeben.
Aber die Steingrabkammer wartete noch immer auf ihr erstes Opfer, den alten, greisen Fürsten. Und sie hätte noch lange warten können. Noch war der Alte rüstig und munter, fast wie vor zehn Jahren, als er sie erbauen ließ, und vielleicht wäre er noch hundert Jahre alt geworden. Doch eines Tages ereilte ihn das Geschick, und der Tod, den er nie gefürchtet, brachte ihm die ersehnte Fortsetzung seiner Waffenkämpfe und Heldentaten droben in Walhalla, dem Lande der Himmelsburgen. Eines Tages war er mit seinen Söhnen und Enkeln, altem Brauch während der Friedenszeit folgend, zur Jagd ausgezogen, um Bären und Auerochsen zu erlegen. Gar wacker hatte er seinen Mann gestanden und hatte seinen jugendlichen Begleitern nichts nachgegeben an Gewandtheit und Mut. Doch die böse Schicksalsgöttin hatte ihm dabei übel mitgespielt. Er hatte sich verirrt im "Schwarzen Venn", in Sumpf und Moor. Lange war er umhergeirrt und konnte seine Jagdbegleitung nicht wieder finden. Schon hatte er geglaubt, elend im Sumpfe zu verderben, da hatten ihn seine Getreuen gefunden, die ihn sofort gesucht, nachdem sie ihn vermisst. Zwar retteten sie ihn noch einmal mit aller Anstrengung, aber seine Lebenskraft war vernichtet. Ein böses Fieber überfiel ihn, und in einigen Tagen schloss er die Augen für immer. Den Zurückgebliebenen oblag die traurige Pflicht, den Leichnam nach alter Gewohnheit zu bestatten, und diesmal sollte dem Ganzen ein eigenartiger, ungewohnter Abschluss gegeben werden. Die Steingrabkammer war schon vor mehreren Jahren erbaut und sollte nach den Bestimmungen des verstorbenen Fürsten dazu dienen, eine Ruhestätte zu sein für seine und seiner Familie Überreste. Und der nun verschiedene Fürst war der erste, dessen Asche nun beigesetzt werden sollte. Daher musste auch diese Beerdigung ein besonders feierliches Gepräge erhalten.
Ein nasskalter Herbstabend senkte seine Schatten auf die Tannen und Ginstersträucher der "Uhle"; in das schauerliche Heulen des Sturmes mischte sich das Platschen des Regens auf den aufgeweichten Sandboden. Plötzlich kommt Leben in die sonst so verlassenen Gegend. Dunkle Gestalten heben sich ab von den düsteren Tannen und den Wacholderbüschen. Hufschlag und Pferdegetrappel ertönt. Von allen Seiten nahen Bauern heran, zu Fuß und zu Pferde. Langsam sind ihre Bewegungen und traurig die Mienen in ihren Gesichtszügen. Ernst und schweigend nahen sie und verraten durch ihr Benehmen den Zweck ihres Kommens. Bald wenden sich ihre Gesichter gegen Osten, dem Hohlwege des Tannenwaldes zu. Von dorther tönen Klagegesänge herüber, und ein Leichenzug naht heran. Auf dem primitiven, schwankenden Wagen liegt auf Stroh gebettet eine Leiche. Es ist der greise, verschiedene Nottelmannsfürst, der seine letzte Fahrt soeben von seinem Hofe aus begonnen hat, um in der Steingrabkammer seine letzte Ruhe zu finden. Seine Söhne und Töchter mit Enkeln und Enkelinnen sind die vordersten im Zuge, und hinterher folgen die Bediensteten und sonstigen Getreuen. Etwa 200 Meter östlich von der Grabkammer entfernt ist ein Scheiterhaufen aus Eichen- und Birkenholz, mit Wacholder durchflochten, errichtet. Vor diesem hält der Zug, und im Kreise umstellen die Teilnehmer den Holzstoß. Eine alte, weiß gekleidete weibliche Gestalt tritt vor. Es ist die Priesterin. Mit würdigernster, bedächtiger Miene weiht sie unter Schwingen eines Hammers und Murmeln von Gebetssprüchen den Scheiterhaufen ein.
Kräftige Arme heben die Leiche vom Wagen und legen sie auf das Scheiterholz. Das Stroh wird vom Wagen genommen und unter den Holzstoß gelegt. Bald lodert ein helles Feuer, das vom Herbstwinde angefacht wird, zu lichterloher Flamme. Klagegesang begleitet die verzehrenden Gluten, und bald ist der Holzstoß verzehrt von dem gierigen Feuer. Die Asche wird ausgelöscht und vorsichtig sammelt man die Knochenreste und Asche und legt sie in die bereit gestellte Urne. Dann ordnet sich der Zug und zieht weiter zur Grabkammer. Ein mächtiger Steinblock, der den Eingang verrammelte, wir zur Seite gewälzt, und der Eintritt liegt offen. Die Urne mit den Knochenresten wird hinein gestellt und daneben noch kleinere Urnen mit allerhand Beigaben. Die Lieblingswaffen des Toten legt man zur Seite der Urne. Nachdem nun die Priesterfrau noch einige Gebetssprüche gemurmelt, wälzt man den Stein wieder an seinen Platz. Die berittenen Begleiter umsprengen dreimal das Steingrab und entfernen sich dann mit dem Zuge. Bald breitet die Nacht wieder ihre Schatten über die Grabkammer, und sie liegt einsam und verlassen wie zuvor. Der Zug aber bewegt sich gen Osten an dem noch glühenden Scheiterhaufen vorbei zum etwa 5 Minuten entfernten Nottelmannshof. Dort beginnt bei Bärenschinken und selbstgebrautem Met das Totenmahl, und bis tief in die Nacht hinein wird so des Toten Gedächtnis begangen.
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