(7) Bange Stunden

Heiden wurde in den ersten Kriegsjahren fast gar nicht bombardiert, das lag wahrscheinlich daran, dass Heiden nur ein kleines Dorf war. Am Abend des 9. März 1945 fielen zum ersten Mal Bomben auf den Ortskern. Die Alliierten gingen von der irrigen Annahme aus, dass das Reich noch großen Widerstand leisten würde.

Ich war zu der Zeit vier Jahre alt und wohnte mit meiner Mutter und meiner älteren Schwester bei Blömen in Leblich. Mein Vater war, wie fast jeder Mann im Deutschen Reich, Soldat. Jedes Mal, wenn Fliegeralarm gegeben wurde, durchschoss es mich wie ein Blitz. Sofort rannte ich, wie jeder Hausbewohner, in den Keller, der uns zwar keinen allzu großen Schutz gab, uns aber das Gefühl vermittelte, wir seien sicher.

Am 23. März kam mein Onkel auf Urlaub. Wir waren alle froh, ihn heil wieder zu sehen, besonders meine Tante. Er gehörte nämlich der 6. Armee an, die ja bekanntlich in Stalingrad eingekesselt wurde. Wie er uns erzählte, war er noch rechtzeitig mit einem Verwundetentransport aus Stalingrad herausgekommen. Die Bombardierung Heidens durch Flieger ließ nach, bis am 28. März britische Artillerie Heiden unter schweren Beschuss nahm. Überraschend waren noch am Morgen des Tages Männer der Kreisleitung Bocholt im Amtsbüro des Bürgermeisters Bösing erschienen und hatten verlangt: "Sie setzen sofort sämtliche Getreidevorräte in Brand." Bösing weigerte sich. "Wovon sollen die Menschen denn leben, wenn alles vorbei ist?" "Das ist uns scheißegal", brüllte einer der Parteigenossen. "Wenn Sie den Befehl nicht ausführen, werden Sie erschossen!" Der Befehl wurde nicht ausgeführt und auch nicht die Erschießung - die englische Artillerie war schneller.

Als wir am Abend hörten, dass der Kirchturm eingestürzt sei, wussten wir, es würde nicht mehr lange dauern, bis die Engländer und Amerikaner uns erreicht haben könnten. Von den aus dem Dorf fliehenden Menschen hörten wir, dass das Elternhaus meines Onkels brannte. Nun konnten wir meinen Onkel auch mit aller Mühe nicht mehr davon abhalten, etwas retten zu wollen. Er machte sich mit einem Handwagen auf den Weg. Eine Stunde später kam er unversehrt zurück. Auf dem Handwagen hatte er noch einige Lebensmittel und andere wichtige Dinge. In der Nacht machte keiner ein Auge zu, und alle waren voller Angst vor den Alliierten. Am Morgen rückten sie kampflos in Heiden ein. Es war am Gründonnerstag, einem sehr schönen und warmen Tage. Gegen neun Uhr entdeckten wir zwei Panzer, die auf unser Haus zufuhren. Vor Schreck waren wir wie gelähmt. Nach draußen konnten wir auch nicht gehen, denn wir hatten Angst, dass man uns erschießen würde. Zum Glück blieben die Panzer vor dem Haus stehen. Sofort sprangen zwei Soldaten herunter und durchsuchten den Keller. Zum Glück hatte sich mein Onkel aus dem Staub gemacht. Am Abend kam er ungesehen zurück. Im Dorf gab man bekannt, dass sämtliche Häuser zu verlassen und der britischen Wehrmacht zur Verfügung zu stellen wären. Dann mussten sich die in Heiden noch verbliebenen Soldaten stellen. Da mein Onkel sehr gewissenhaft ist, stellte er sich am anderen Morgen.

Nach dem Einmarsch der britischen Truppen bekam man Lebensmittel nur noch auf Marken. Lebensmittel bekam man bei der Gastwirtschaft Schulten auf dem Maibökenplatz und zwar von 10 - 12 Uhr.
(Thomas Becker)