(11) Ich musste weinen

Heiden stand unter starkem Beschuss der Engländer und Amerikaner. Deutsche Soldaten, die nicht in Gefangenschaft kommen wollten, zogen Bauernkleidung an. Zu uns kam, wie auch in anderen Familien, ein Soldat in Quartier. Er war ein dürrer 17 Jahre junger Mann. Wie er hieß, weiß ich nicht mehr. Aber er war immer freundlich und hilfsbereit. Die Engländer zogen nach starkem Beschuss in Heiden ein. Der Junge lief eilig zu uns: "Wo kann ich mich verstecken, die Engländer sind da?" - "Komm mit", antwortete ich, "hier in den Keller." Der Junge schwitzte fast Blut, solche Angst hatte er. Er wusste, wenn sie ihn erwischten, würde er erschossen. Ich führte ihn in einen kleinen Nebenraum, wo früher eine Wasserpumpe stand. Der Raum war etwa 3 m lang und 2 m breit. Er hatte ein kleines Fenster. Ich überlegte mir die Sache noch einmal genau. Dann sagte ich zu ihm: "Ich habe eine bessere Idee. Ich gebe dir ein paar von unseren Kleidern. So finden sie dich nicht zu leicht."

"Nein, lieber nicht," erwiderte er, "das ist mir zu riskant. Außerdem seh ich nicht aus wie ein Bauer." - "Wir können dein Gesicht etwas schmutzig machen," antwortete ich. "Und wenn sie meine Sachen finden? Nein, nein," sagte er, "das ist mir zu gefährlich. Ich will euch nicht in Gefahr bringen." Im selben Augenblick schlug eine Bombe 2 Meter neben unserem Haus ein. Zum Glück befanden wir uns alle im Keller. Der junge Soldat rannte die Treppe hoch und wollte zur Siedlung herüber. Ich rief: "Bleib hier, du bringst dich selber um." Doch er hörte nicht auf mich. Er hatte panische Angst bekommen. Er rannte übers freie Feld. Doch da sahen ihn die Engländer und erschossen ihn. Er starb dort, wo heute der Friedhof ist. Seinen Leichnam konnten wir nicht holen, sonst hätten sie uns auch erschossen. (Was später damit geschah, weiß ich nicht.) Ich weinte, als ich ihn da liegen sah. Ich dachte: "Ist mein Mann auch so ums Leben gekommen?" Der Gedanke war schrecklich.
(Karl-Heinz Klöpper)